Rendering von Gebäude © FWD Hausbau GmbH, Planung Werkgruppe Lahr
© FWD Hausbau GmbH, Planung Werkgruppe Lahr

Müllheim-Niederweiler:
Ganz viel Inklusion auf einmal

In Niederweiler entsteht ein barrierefreies Wohnquartier für Wohngemeinschaften und Familien, für Senioren und junge Paare, für Menschen mit und ohne Behinderung. Das ehemals typische Straßendorf freut sich auf ein neues Dorfzentrum.

Die Situation

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Auf dem ehemaligen Fabrikgelände der Firma Kirsch hat sich die Werksiedlung St. Christophorus über die Jahre zu einer Lebens- und Arbeitsgemeinschaft für Männer und Frauen mit geistiger Behinderung entwickelt. Nun hat die Christophorus-Gemeinschaft Großes vor und überbaut das bisherige Areal zusammen mit einem Projektpartner. Dabei soll ein durchlässiges, inklusives Wohnquartier entstehen. Hier können zukünftig 43 Erwachsene mit geistiger oder seelischer Behinderung zusammen mit anderen Bewohnern in einer bunt gemischten Nutzergemeinschaft leben. In lockerer Bauweise werden sechs neue Häuser mit insgesamt 54 barrierefreien Wohnungen gebaut. Vier Neubauten erstellt die Christophorus-Gemeinschaft in eigener Trägerschaft. In einem der Häuser wird ein Förder- und Betreuungsbereich eingerichtet. In zwei Häusern entstehen zusätzlich acht frei finanzierte Appartements. Der Projektpartner, die FWD Hausbau- und Grundstücks GmbH, errichtet zwei Wohnhäuser zur freien Vermarktung.

Der Zugang zum Areal wird offen und einladend gestaltet. Mit einem Aufzug kann man den Geländeanstieg gut bewältigen, sei es im Rollstuhl, mit Kinderwagen oder mit dem Fahrrad. Ein Fußgängerweg führt quer durch das Gelände zum gegenüber liegenden Rathaus und dem Gemeindesaal. Damit wird eine Verbindung zwischen Ober- und Unterdorf geschaffen. In der Mitte des Areals entstehen zwei größere Plätze. „Neue Dorfmitte“  ̶  der Name für den Außenbereich ist Programm.

Baum vor Wohnhaus © Christophorus-Gemeinschaft
© Christophorus-Gemeinschaft
Der Ahorn war auf dem bisherigen Gelände von Häuserwänden und Mauern umschlossen. Er darf bleiben und bekommt im neuen Quartier mehr Licht.

Ein Café mit Laden soll sich zum attraktiven Treffpunkt für die Bewohner entwickeln und Kundschaft von außen ins Quartier herein holen. Es werden Bioprodukte aus eigener Herstellung und von regionalen Erzeugern sowie Keramik-, Textil-, Holz- und Metallprodukte aus den Werkstätten angeboten. Durch Gastronomie und Verkauf entsteht gleichzeitig ein kleiner Arbeitsbereich für fünf Werkstatt-Beschäftigte. Ein Quartiersbüro kann als Beratungs- und Anlaufstelle von Pflege- und Teilhabedienstleistern, als Ehrenamtsbörse, zur Vermittlung von Alltagshilfen oder für Gemeinschaftsveranstaltungen genutzt werden. Hier gibt es einen festen Ort, von dem aus der Zusammenhalt im neuen Wohnquartier aktiv gefördert und die Verbindung zur Dorfgemeinschaft ausgebaut werden kann.

Ob Anwohner aus der unmittelbaren Nachbarschaft, andere Dorfbewohner oder Gäste von auswärts, alle sind willkommen. Eintreten und Verweilen sind ausdrücklich erwünscht! Ein breiter bürgerschaftlicher Beteiligungsprozess soll helfen, dass die Entwicklung zum inklusiven Quartier als Teil der Dorfgemeinschaft nachhaltig gelingt. Die Christophorus-Gemeinschaft und die Stadt Müllheim haben den Prozess gemeinsam angestoßen. Die Kosten für die Moderation der Veranstaltungen übernimmt die Initiative Allianz für Beteiligung e.V. im Rahmen des Förderprogramms „GUT BERATEN!“. Die Ideen reichen von Bäumen und Bänken zum Verweilen ohne Konsumzwang zum öffentlichen Kräutergarten, von der kostenlosen, barrierefreien Toilette zum Mitfahrbänkle für Menschen ohne Auto. Sie zeigen, dass zukünftige Bewohner und Anwohner ins Gespräch gekommen sind. Das Quartiersbüro könnte sich zum „Dorfräumle“ entwickeln.

Personen im Saal bei Vortrag © Christophorus-Gemeinschaft
© Christophorus-Gemeinschaft
Der moderierte Beteiligungsprozess in Niederweiler hat im Herbst 2018 begonnen.

Die Idee

Darf`s nicht ein bisschen mehr sein? Mit dieser Frage hat die Christophorus-Gemeinschaft im Sommer 2018 zu einer Diskussion über Inklusion eingeladen. Die Antwort für Niederweiler lautet JA. Ein ganzes Quartier soll zu einer inklusiven Gemeinschaft zusammen wachsen. Dazu braucht es eindeutig ein bisschen mehr.
 
Es braucht zum Beispiel Clusterwohnen. Gemeint ist ein bauliches Konzept als Kombination aus Kleinstwohnungen und Wohngemeinschaften mit flexiblen Grundrissvarianten. Wenn eine einzelne Person für sich alleine nur ein Ein-Zimmer-Apartment mit Bad und Teeküche braucht, wenn sich vor der Wohnungstür kein Treppenhaus sondern eine große Wohnküche oder ein anderer Gemeinschaftsbereich befindet, dann ist beides gleichzeitig möglich: Das Leben in einer Wohn- und Hausgemeinschaft und der Rückzug in die eigene komplette Wohnung. Durch geringe bauliche Veränderungen lassen sich Cluster-Wohnungen unterteilen oder wieder zu größeren Einheiten zusammenschließen. Im Quartier in Niederweiler wird es statt Einfamilienhäusern mit Gartenzaun viele verschiedene Wohnungstypen geben. Da sich die frei finanzierten Wohnungen mit wenig Aufwand an die Vorgaben der Landesheimbauverordnung anpassen lassen, können Männer und Frauen mit Assistenzbedarf auch dorthin wechseln und umgekehrt. Ob Wohngruppe, Paar- oder Einzelwohnen, Menschen mit Behinderung haben die Wahl. Sie leben gleichzeitig im Schutz einer Nachbarschaft, die sich untereinander gut kennt. Bei der Vergabe von Fördermitteln konnte das Wohnkonzept als innovatives und inklusives Projekt überzeugen.

Ein bisschen mehr bringt auch die Grundstücksgemeinschaft mit einem engagierten Projektpartner. Bei der Gestaltung der Außen- und Gartenbereiche können Bedürfnisse gebündelt werden. Nicht jeder braucht einen eigenen Grill auf der Terrasse. Auf Grünflächen kann gemeinschaftlich gegärtnert werden. Carsharing bietet sich an, sogar eine Ladestation für Elektrofahrzeuge ist im Gespräch. Über alle Häuser hinweg können Gästewohnungen für Angehörige und Freunde vorgehalten werden, wenn sich die Bewohner darauf einlassen. Damit das soziale Experiment gelingen kann, braucht es auch ein bisschen mehr Austausch und viel Engagement von allen Beteiligten.

Die Männer und Frauen aus der Christophorus-Gemeinschaft sind sehr gespannt auf ihr neues Zuhause. Sie freuen sich auf einen eigenen Fernseher und auf den neuen Garten. Sie möchten als Paar in eine eigene Wohnung ziehen. Sie sind froh, dass die Schwester in Zukunft zu Besuch kommen und über Nacht bleiben kann. Groß ist die Freude besondere dann, wenn Eltern, Geschwister oder andere Verwandte mit ins Quartier einziehen. Was nicht nur grundsätzlich möglich ist, sondern von mehreren Angehörigen ganz konkret geplant wird.

Die Verantwortlichen

Joachim Walter
Vorstand/Geschäftsführung
Christophorus-Gemeinschaft e.V.
Lindenstraße 4
79379 Müllheim
Telefon: 07477-8471
j.walter@christophorus-gemeinschaft.de
www.werksiedlung.de